Das systemische Denken entstand als Produkt einer Evolution des menschlichen Denkens und Fühlens, verbunden mit sehr umfassenden Veränderungen in der Sicht von der Welt und dem, was darin geschieht. Die zunächst ingenieurwissenschaftliche Betrachtungsweise von regelhaften Rückkopplungseffekten in technischen Systemen (Kybernetik) wirkte als Katalysator des Denkens auch in den Humanwissenschaften. Die Entwicklung systemischen Denkens lässt sich nach unserer Auffassung keiner einzelnen Person zuschreiben, und ihre Anfänge entspringen einer Art Zeitgeist, der in Kommunikationstheorie (Bateson, Watzlawik, Förster, Maturana u. a.), Familientherapie (Minuchin, Palazzoli, Satir u.a.) und dem philosophischen Konstruktivismus seinen Ursprung haben könnte.
Systemisches Counseling versteht sich als Haltung und Methode zugleich. Gemeint ist damit eine erkenntnistheoretische Sichtweise, die eher zur Verbindung als zur Trennung einlädt, eher zum Einschließen als zum Ausschließen, zum anderen eine Methode des Beratungshandelns.
Einige Kerneinsichten systemisch-konstruktivistischen Denkens:
Der Mensch »erfindet« seine Wirklichkeitswahrnehmung. Wir verstehen Lebewesen als autonome, selbstorganisierte und selbstregulierte Systeme. Sie sind nicht instruierbar.
Subjektabhängige Wahrnehmungen, nicht objektive Kriterien bestimmen den Umfang des Sinn- oder Problemsystems.
Das aufklärende Verstehen des »Wie« und »Wozu« einer bisherigen leidvollen Lösung (Problem), weniger ein Streit um das »Warum«
»Psychische Störungen« nicht mehr nur als individuelle Prozesse gesehen. Der Begriff »Krankheit« selbst war (und ist) nicht mehr angemessen für Phänomene, die offensichtlich mit sozialen Prozessen eng verbunden sind.
Wir verwenden den Begriff Systemisches Counseling — im Bereich der Psychotherapie als »Systemische Therapie« bekannt — als Bezeichnung für eine Methode des Beratungshandelns, die vor etwa 50 Jahren als »Familientherapie« bekannt wurde und sich im Laufe der Zeit von dort her weiterentwickelt hat. Wir sprechen heute eher von systemischem Counseling (pädagogisch-therapeutischem Beraten) bzw. systemischem Denken als von »Familientherapie«. Diese Erweiterung des Sprachgebrauchs soll zum einen verdeutlichen, dass es nicht zwangsläufig die Familie sein muss, die im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, zum anderen, dass die Arbeitsfelder neben der Beratungsarbeit im Gesundheits-, Sozial- und Erziehungswesen auch in Supervision und Organisationsberatung bis hin zur Politik liegen.
Mehrgenerationale Wirklichkeiten sichtbar machen (Genogrammarbeit). Genogramme dienen der übersichtlichen Darstellung von komplexen Informationen über Familiensysteme. Sie vereinfachen den Überblick und veranschaulichen auch bisher verdeckte Zusammenhänge, die auf der reinen Sprachebene oft übersehen werden.
Oberste Prämisse systemischen Denkens und Counselings ist, den Möglichkeitsraum der am Beratungsprozess beteiligten Individuen zu vergrößern.